Dienstag, 17. Oktober 2017

Abseitig: Das Randfilmfest 2017

Die Schwarze Szene wurde und wird nicht nur von Musik, Kunst und Literatur inspiriert, sondern auch das Kino und (Genre-)Filme hatten und haben immer wieder nicht nur in visueller sondern auch oft in konzeptioneller Hinsicht einen großen Einfluss, von den alten Horrorfilmen der 30er bis 50er Jahre bis zu Filmen wie "The Crow" oder den Werken von Tim Burton. Deshalb findet dieser Teil unserer Kultur natürlich auch in diesem Blog seinen Platz.

Dass Deutschland international nicht (mehr) unbedingt für seine blühende Filmindustrie bekannt ist und man bisweilen das Gefühl hat, dass hierzulande nur seichte Rosamunde-Pilcher-Filme und romantische Komödien (und gelegentlich ein Nazi-Film) gedreht werden, kommt nicht von ungefähr, wenn man sich Fernseh- und Kinoprogramm anschaut. 

Ich war, kaum verwunderlich, aus unterschiedlichen Gründen nie Fan des deutschen Films: sobald ich feststellte, dass ein Film aus Deutschland kam, schaltete ich ihn aus. Das hatte viel damit zu tun, dass ich nicht die ewig gleichen Gesichter sehen wollte, das over-acting  vieler gepriesener "Stars" meine Fremdschämschwelle deutlich überschritt, oder ich die belanglosen Geschichten, die dümmlichen Charaktere oder die einfallslose Kameraführung unerträglich fand. Mittlerweile weiß ich dank Mina, dass viele dieser Probleme von der Art und Weise herrühren, wie in Deutschland Filme gefördert und finanziert werden (oder eben nicht finanziert werden können, aber das zu erörtern würden diesen Post sprengen). 

Genre-Filme (also Horror-, Fantasy-, SciFi-, aber auch Cop- oder Milieu-Filme) aus Deutschland haben hier oft einen schlechten Stand, weil sie wegen mangelnder Massenkompatibilität und fehlendem Wohlfühlfaktor vermeintlich eine zu geringe Erfolgschance haben, daher nicht gefördert werden und erst recht nicht ins Kino kommen. Sie finden also praktisch nicht statt.

Doch auch hier werden solche Filme gedreht, oft mit minimalem Budget und ohne die gehypten Schauspieler: Filme, die Genres und Themen abseits des Mainstreams bedienen, Filme, die internationale Preise einheimsen, aber hier, wenn überhaupt, nur in Programmkinos laufen, Filme, die mehr Kreativität und Qualität zeigen, als die tausendste Marvel-Comic-Adaption oder das hundertste Star-Wars-Sequel mit ihren mehrstelligen Millionenbudgets. Glücklicherweise kann man solche Filme auf den oft von nur wenigen Film-Enthusiasten organisierten, manchmal geradezu winzigen Filmfestivals sehen.

Und so waren Mina und ich auf Minas Initiative hin kürzlich also beim Randfilmfest 2017 in Kassel.

Das Randfilmfest wird jährlich vom Randfilm e.V. veranstaltet, fand dieses Jahr zum vierten Mal statt und hat, wie es der Name schon nahelegt, das Ziel, (Genre-)Filmen am Rand oder abseits des Mainstreams eine Plattform zu geben. Natürlich werden bei einem solchen Festival nicht nur Filme gezeigt, sondern es gibt auch  Konzerte, Parties und Podiumsdiskussionen oder Gespräche mit Regisseuren und anderen Filmschaffenden. In diesem Jahr waren unter anderem Dominik Graf (einer der bekanntesten deutschen Regisseure und 10-maliger Grimme-Preisträger), Nikias Chryssos und Tarek Ehlail anwesend, Uwe Boll (der einige furchtbare aber offenbar finanziell erfolgreiche Computerspiel-Adaptionen, zum Teil mit sehr bekanten Hollywood-Größen gedreht hat) war per Skype zugeschaltet. 

Das Randfilmfest ist dabei von sehr überschaubarer Größe. Ich würde schätzen, dass zu jedem Zeitpunkt maximal 40 Personen anwesend waren. Das hatte aber den angenehmen Nebeneffekt, dass man immer wieder jemanden traf, mit dem man schon gesprochen hatte und weiter anknüpfen konnte und dass man selbst Größen wie Dominik Graf, die wie andere Besucher im Publikum herumstanden, sich ein Getränk kauften oder im Film hinter einem saßen, mal eben so ansprechen konnte. 

2017 hatte das Festival zwei Leitthemen: "Der politische Genrefilm" und "Deutsche Dystopien". Da in der Regel je zwei Filme parallel liefen und das Programm von vormittags bis spät nachts lief, mussten wir natürlich eine Auswahl treffen. Am Freitag Abend schauten wir uns daher erst "Volt" von Tarek Ehlail und danach "Night of the Living Dead" des kürzlich verstorbenen George A. Romero (über dessen Zombie-Filme und die darin verarbeitete Gesellschaftskritik Mina ihre Bachelorarbeit geschrieben hat) an.

"Volt" wurde 2014/2015 von Tarek Ehlail geschrieben und gedreht und geht von der Prämisse aus, dass die europäischen Staaten wieder ihre Grenzen hochgezogen haben. In sogenannten Transit-Areas, die mit Stacheldraht umzäunten Flüchtlingscamps ähneln, leben diejenigen, die nicht legal einreisen dürfen, bis sie eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Die Polizei, ein verschworener und trotz gemischter Herkunft ziemlich rassistischer Haufen, führt dort regelmäßig brutale Razzien durch. Bei einer dieser Razzien tötet ein Polizist mit dem Spitznamen "Volt" (Benno Fürmann) einen der Transits. In der Folge wird versucht, die Tat zu vertuschen und mögliche Zeugen zum Schweigen zu bringen. Doch Volt kommt damit nicht klar und versucht, das aus seiner Sicht Richtige zu tun...


Auf den ersten Blick eine recht konventionelle Geschichte, glänzt der Film mit der Zeichnung seiner Charaktere und der dystopischen Welt, in der die Polizisten in Gated Communities leben und schwer gerüstet gegen die Transits vorgehen. Interessant ist, dass der Film mit Einsetzen der Flüchtlingskrise Ende 2015 quasi von der Realität überholt wurde. Man bekommt teilweise das Gefühl, dass die Flüchtlingslager nach dem Vorbild der Transit-Camps im Film modelliert wurden.

Den Samstag begannen wir mit "Animal Farm" nach dem Roman von George Orwell, um danach "Der Bunker" von Nikias Chryssos zu schauen. In diesem Film mietet ein junger Student, der zurückgezogen und in Ruhe an einer Theorie arbeiten will, ein Zimmer in dem Bunker einer Kleinfamilie. Schnell werden jedoch einige seltsame Dinge sichtbar: der Sohn der Familie wirkt merkwürdig alt und wird mit rauen Maßnahmen erzogen, die Mutter hat eine sprechende Wunde namens Heinrich am Bein und der Vater der Familie schwankt zwischen übermäßig autoritärem Auftreten, unrealistischen Ambitionen und unangemessenen Freiheiten.   


Das Spielfilmdebut von Nikias Chryssos mischt bizarr-beklemmende Elemente mit surrealem Humor, bei dem einem das Lachen im nächsten Moment im Halse stecken bleibt, und lässt sich vielleicht am ehesten als Groteske einordnen. Er hat auf diversen Festivals Preise eingeheimst, war aber hierzulande im Kino kaum erfolgreich. Zu unrecht, denn in seiner Absurdität spiegelt der Film doch ganz reale Probleme auf eine sehr unterhaltsame Weise: kleinbürgerlicher Konservativismus gepaart mit übertriebenem Ehrgeiz, Gewalt in der Familie, psychische Auffälligkeiten und vieles mehr. Ein Film der Spaß macht, auch wenn (oder gerade weil) er manchmal in die düstersten Ecken menschlichen Verhaltens abtaucht.

Nachdem wir uns nach einer Podiumsdiskussion noch "Starship Troopers" angeschaut, sowie ein Konzert der Band Speed Chicken (Rock'n'Roll) und einen Teil des Konzerts der Band Gewalt (Noisepunk) angeschaut hatten, strichen wir die Segel und machten uns auf den Weg ins Bett. 

Da wir Sonntag auch wieder den Heimweg antreten mussten, beschlossen wir, schon vormittags wieder am Spielort einzutreffen und uns wenigstens noch zwei Filme anzuschauen: "Wild" von Nicolette Krebitz und die Dokumentation "Verfluchte Liebe deutscher Film" von Dominik Graf, welche der Frage nachgeht, warum es in den 70er Jahren in Deutschland so etwas wie eine Genre-Film-Tradition gab, die heute praktisch verschwunden ist. 

"Wild" handelt von einer introvertierten jungen Frau, deren Großvater schwer erkrankt im  Krankenhaus liegt (ihre Eltern sind offenbar schon seit ihrer Kindheit abwesend) und deren Chef sie schikaniert. Als sie auf dem Heimweg durch ein Waldstück einen Wolf sieht und kurz darauf ihr Großvater ins Koma fällt, beginnt damit eine Entwicklung, in deren Lauf ihr Leben zunehmend aus den Fugen gerät und sie die Fesseln und Konventionen ihrer bürgerlichen Existenz ablegt. 


Themen wie Machtstrukturen, Sexualität, Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehung werden nicht mit den üblichen ausufernden, bedeutungsschweren Dialogen aufgearbeitet, sondern mit einer spannenden Geschichte in radikalen Bildern, die den Zuschauer herausfordern. Wie die anderen Filme auch hat dieser Film diverse Preise gewonnen und wurde im Feuilleton ausgiebig besprochen, lief aber im Kino unter dem Radar. 

Alles in Allem waren die Filme für mich überraschend gut und haben meine negative Meinung über deutsche Filme zumindest etwas gelockert und mich neugierig auf mehr gemacht. Das Erlebnis Filmfestival kann ich jedem, der auch Filme mag, die nicht mit einem Millionenbudget ausgestattet sind und nur mit ihrer Optik glänzen können, nur empfehlen. Dazu kommt, dass man interessante Filme sieht, die man oft weder im Kino noch bei den Streamingdiensten findet, noch dazu meist zu einem günstigeren Preis als das im Kino möglich wäre.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.